PHGG: Ein Ballaststoff, der die Verdauungssymptome schon bei geringer Dosierung verbessert - zu schön, um wahr zu sein?
Veröffentlicht am: 27. Juni 2024 | Zuletzt aktualisiert: 1. Juli 2024
Gastartikel von: Benjamin Gullanger
Wenn bei dir das Reizdarmsyndrom oder SIBO (Dünndarmfehlbesiedlung) diagnostiziert wurde, hast du bei der Recherche nach Linderung deiner Symptome wahrscheinlich schon von PHGG gelesen. Die Abkürzung steht für partiell-hydrolysiertes Guarkernmehl. Für manche ist PHGG so etwas wie der heilige Gral der Ballaststoffergänzungen. Aber kann es diesem Hype wirklich gerecht werden? Im heutigen Artikel erfährst du, wie PHGG sich von anderen Ballaststoffen unterscheidet - und ob es Belege für die in den sozialen Medien aufgestellten Behauptungen gibt!
Was ist PHGG?
Partiell-hydrolysiertes Guarkernmehl ist ein wasserlöslicher Ballaststoff, der aus der Guarbohne gewonnen wird, die hauptsächlich in Pakistan und Indien angebaut wird. Bestimmt hast du mal Guarkernmehl auf einem Lebensmitteletikett oder eine Zutatenliste gesehen. Guarkernmehl wird häufig als Verdickungsmittel und Stabilisator in der Lebensmittelindustrie verwendet. Es ist ein Präbiotikum, das leider auch als Histaminliberator bekannt ist. PHGG wird durch enzymatische Hydrolyse (Spaltung) von Guarkernmehl gewonnen.
Obwohl die ursprüngliche Verwandtschaft von PHHG und Guarkernmehl es nicht unbedingt vermuten lässt, hat PHGG in seinen chemischen und sogar in einigen physiologischen Eigenschaften wenig mit Guarkernmehl gemeinsam. Schau’ dir dazu diese Fakten an:
- Guarkernmehl ist etwa 250-mal dickflüssiger als PHGG, weshalb es zähflüssig ist. PHGG hingegen löst sich leicht und fast vollständig in Wasser auf.
- PHGG kann die Symptome des Reizdarmsyndroms lindern - dafür gibt es eine Reihe wissenschaftlicher Belege, während es für Guarkernmehl keine Belege für eine derartige Wirkung gibt.
Übrigens: Es liegen derzeit keine gesicherten Hinweise vor, ob PHGG ein Histaminliberator ist oder ob es sich neutral bis positiv (hemmend) auf die Histaminfreisetzung verhält. Allerdings hat PHGG nachweislich einen positiven Einfluss auf die Unterbindung der Ausbreitung von Proteobakterien. Letztere können das Enzym Histidin-Decarboxylase, welches aus Histidin Histamin erzeugt, produzieren. Somit wird vermutet, dass PHGG sich neutral bis positiv bei Histaminintoleranz auswirkt.
Symptomlinderung - Wie schneidet PHGG im Vergleich zu anderen Ballaststoffen ab?
Wenn es um die Verringerung von Symptomen beim Reizdarmsyndrom geht, sind nur wenige lösliche Ballaststoffe so gründlich getestet worden wie PHGG. In drei randomisiert-kontrollierten Studien und mehreren weiteren klinischen Studien zeigte PHGG nachweislich positive Auswirkungen auf die Symptome des Reizdarmsyndroms, die Stuhlkonsistenz, die Transitzeit und die Zusammensetzung des Darmmikrobioms.
Anfang 2024 wurde eine weitere Studie zu den Effekten von PHGG veröffentlicht. In dieser Studie wurde Patienten mit Reizdarmsyndrom und chronisch entzündlicher Darmerkrankung (CED) zusätzlich zur medizinischen Standardbehandlung PHGG verabreicht. Das Ergebnis: Verbesserungen der Zusammensetzung des Mikrobioms, der Darmentzündung und der Symptome.
Als Vergleich betrachte ich im Folgenden vier weitere FODMAP-arme Ballaststoffe, die häufig bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms eingesetzt werden:
Akazienfaser
Akazienfaser ist ein weiterer löslicher Ballaststoff, von dem bekannt ist, dass er für RDS-Patienten gut verträglich ist. Obwohl Akazienfaser nachweislich die Verstopfung bei RDS-C-Patienten verbessert, hat sich nicht gezeigt, dass er die allgemeinen Symptome des Reizdarmsyndroms und anderer RDS-Subtypen verbessert.
Resistente Stärke
Resistente Stärke Typ 2 ist in geringer Dosierung als FODMAP-arm zertifiziert und kann von RDS-Patienten ohne Bedenken verzehrt werden. Obwohl sie sich positiv auf das Darmmikrobiom und den Histamingehalt auswirkt, gibt es keine Belege dafür, dass sie die Symptome des Reizdarmsyndroms verringern kann.
Resistentes Dextrin
Resistentes Dextrin ist ein weiterer Ballaststoff, der meist aus gentechnikfreiem Mais hergestellt wird. Da resistentes Dextrin langsam fermentiert, ist die Gasbildung gering, und Menschen mit Reizdarmsyndrom können normalerweise relativ große Mengen davon verzehren, ohne dass sich die Symptome verschlimmern. Obwohl auch für diesen Ballaststoff ein positiver Einfluss auf die Zusammensetzung des Mikrobioms und den Stoffwechsel nachgewiesen wurde, gibt es keine Belege in der Fachliteratur, dass resistentes Dextrin die Symptome des Reizdarmsyndroms positiv beeinflussen kann..
Flohsamen
Flohsamenschalen sind der einzige hier aufgeführte Ballaststoff, der nach der verfügbaren Literatur mit PHGG vergleichbar ist, wenn es um die Verringerung der Symptome bei RDS-Patienten geht. Der Nachteil? Im Vergleich zu PHGG können Flohsamenschalen recht schnell gelieren und sind daher für den regelmäßigen Verzehr für viele Menschen schlechter geeignet. PHGG hingegen löst sich vollständig in Wasser auf und kann fast jedem Getränk zugesetzt werden.
In der S3-Leitlinie für das Reizdarmsyndrom (die von den meisten Ärzten in Deutschland verwendet wird) wird empfohlen, lösliche Ballaststoffe in die Ernährung einzubeziehen. Von den oben genannten Ballaststoffen stehen nur PHGG und Flohsamenschalen auf der Positivliste der Leitlinie; für die anderen genannten Ballaststoffe gibt es keine Belege für positive Effekte auf die Symptomlinderung bei Reizdarmsyndrom.
Ballaststoffe, die blähen? Nein, danke!
Der Verzehr von löslichen Ballaststoffen ist bekanntlich gut für dein Darmmikrobiom, da sie nützliche Darmbakterien ernähren. Werden die Ballaststoffe im Darm von den Bakterien verdaut, kommt es unweigerlich zu Gasbildung. Dies kann zunächst zu unerwünschten Blähungen und Flatulenzen führen. Die Menge der entstehenden Gase hängt stark von der Struktur der Ballaststoffe, ihrem Molekulargewicht und der Zusammensetzung des Mikrobioms ab.
Die gute Nachricht: Diese Symptome klingen in der Regel ab, wenn du Ballaststoffe anfänglich niedrig dosierst und die Dosierung über einige Wochen langsam erhöhst.
Ein weiteres Produkt der Ballaststofffermentation sind so genannte kurzkettige Fettsäuren (SCFA, aus dem englischen Short-Chained Fatty Acids). Diese sind Signalmoleküle und dienen als Energiequelle für deine Darmzellen. Übrigens: Gasproduktion und SCFA-Produktion gehen meist Hand in Hand. Wenn keine Gasproduktion vorhanden ist, ist die SCFA-Produktion letztlich gering.
Eine Studie, die die Gas- und SCFA-Produktion verschiedener Ballaststoffe untersuchte, fand heraus, dass PHGG im „Sweet Spot“ liegt - es erzeugt eine mittlere Menge an Gas und produziert reichlich von der kurzkettigen Fettsäure Butyrat. Butyrat ist bekannt für folgende Vorteile:
- sie dient als Energiequelle für deine Darmzellen
- kann Entzündungen herunterregulieren
- das Immunsystem regulieren
- und verfügt über Antitumoreigenschaften
Die oben erwähnte Studie ergab, dass PHGG im Vergleich zu Zuckerrohrbagasse und Akazienfasern eine günstigere Butyratproduktion aufweist, wenn auch eine etwas höhere Gasproduktion. Mit anderen Worten: Wenn du einen nachweislich wirksamen Ballaststoff mit (immer noch) geringer Gasproduktion suchst, ist PHGG dein bester Freund.
PHGG - Dosierung und Dauer der Einnahme
Wie bei allen Ballaststoffen ist es ratsam, langsam mit der Einnahmemenge zu beginnen. Typischerweise bedeutet dies, mit 5 Gramm PHGG jeden Morgen zu beginnen - bereits mit 5 Gramm pro Tag wurden positive Auswirkungen auf die Stuhlkonsistenz und RDS-Symptome festgestellt! Der Nutzen von PHGG scheint jedoch bei höheren Dosierungen zuzunehmen.
Solltest du zu Beginn der Einnahme von PHGG irgendwelche Symptome verspüren - die meisten Menschen vertragen PHGG von Anfang an sehr gut - kannst du mit 2,5 Gramm pro Tag anfangen. Oder du verteilst die 5 Gramm auf 2,5 Gramm morgens und 2,5 Gramm abends. Auf diese Weise sollte dein Mikrobiom in der Lage sein, das Plus an Gasproduktion zu bewältigen.
Im Laufe von 1-2 Wochen kannst du zu den 5 Gramm am Morgen weitere 5 Gramm am Abend und schließlich weitere 5 Gramm am Mittag hinzu nehmen. Oder 7,5 Gramm am Morgen und 7,5 Gramm am Abend. 15 Gramm PHGG pro Tag können vom Darmmikrobiom gesunder Menschen nämlich vollständig verstoffwechselt werden. Da der Nutzen von Ballaststoffen mit der Einnahmemenge zunimmt, sind diese 15 Gramm PHGG pro Tag ein theoretischer Richtwert, bei dem der Nutzen der Einnahme optimiert wird.
Nach etwa 3 Wochen einer Dosierung von 15 Gramm am Tag wird empfohlen, die tägliche Einnahme auf eine Erhaltungsdosis von 5-10 Gramm zu reduzieren. Diese solltest du mindestens 6 Monate lang beibehalten, da sich die positiven Auswirkungen auf dein Darmmikrobiom und deine Darmbarriere im Laufe der Zeit summieren.
PHGG - ein unsichtbarer Ballaststoff mit sichtbaren Vorteilen
Lösliche Ballaststoffe sind eine großartige Ergänzung für deine tägliche Ernährung. Neben der Ankurbelung der Produktion kurzkettiger Fettsäuren und der Verbesserung der Zusammensetzung deines Darmmikrobioms, verbessern Ballaststoffe wie PHGG und Flohsamenschalen nachweislich die allgemeinen Symptome aller RDS-Subtypen.
Ein weiterer Vorteil von PHGG ist, dass es geruchlos ist, sich vollständig in Wasser auflöst und so gut wie keinen Geschmack hat. Da es hitzebeständig ist, kannst du es sogar in den morgendlichen Kaffee oder Tee geben.
Über den Autor:
Benjamin ist Gründer und Produktentwickler bei MIBIOTA. Während seines Masterstudiums in Maastricht forschte Benjamin selbst zum Thema Mikrobiom. In seiner Freizeit wandert er gerne und geht klettern. Sein Wunsch ist es, dass alle Menschen einen gesünderen Darm und damit mehr Lebensqualität haben.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38653808/ ➟ aufgerufen am 20.06.2024
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